AN.GE.DACHT

Liebe Gemeinde,

das Buch Jesus Sirach gehört zu den Spätschriften des Alten Testamentes. Es wurde von dem jüdischen Weisheitslehrer und Schriftgelehrten Jesus Sirach im ersten Drittel des 2. Jahrhundert vor Christus in Jerusalem verfasst. Inhaltlich steht die Göttliche Weisheit und die Gottesfurcht im ersten Teil, das menschliche Zusammenleben und Unterweisungen dazu im zweiten Teil und Lobpreis im dritten Teil im Mittelpunkt. Dieser Spruch gefällt mir, senkt er sich doch sogleich in mein Herz. Ein weises Herz: Das klingt bedächtig, ein bisschen altmodisch und langweilig in einer temporeichen Zeit. Es klingt nach Altersweisheit und Ruhesitz im Alter. Das Gegenmodell zur Ruhe ist das Jagen: die Jagd nach Glück. Viele Menschen erwarten es wie selbstverständlich, glücklich zu sein; sie erheben Anspruch auf Glück. Das macht sie aber nicht nur zu Jägern, sondern auch zu Gejagten im Erreichen des Glücks. Was bitteschön ist nun Weisheit? Die Menschen der Bibel meinen damit so etwas wie einen inneren Kompass, der das rechte Maß angibt: ein Kompass, der hilft, die Balance zu halten zwischen Alleinsein und Gemeinschaft, zwischen Sammeln und Loslassen, Arbeit und Ruhe, Ernstes und Ausgelassenheit, Gewohnheit und Kreativität. Das weise Herz, dieser innere Kompass, wird in der Bibel durch zwei Sätze erläutert:
Der eine heißt: „Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn“ (Spr. 9,10), die Ehrfurcht vor Gott.        
Der Satz bezeichnet Erschrecken, Hochachtung und Staunen zugleich. Ehrfurcht vor Gott: Das meint, ich beherrsche mein Leben nicht; das Leben läuft nicht nach meinem Masterplan ab, den ich mir ausgedacht habe. Die Kinder werden z.B. nicht so, wie es sich die Eltern vorgestellt haben; der Partner ist nicht der Glücksbringer, der sich nach den Träumen meiner Sehnsucht formen lässt. Es irritiert mich und zugleich komme ich jedoch ins Staunen, welche Lebensfreude von manchen meiner Mitmenschen ausgeht, welche Anstöße und gute Ideen sie mir vermitteln. Ehrfurcht vor Gott: Ich erschrecke auch über eigene Fehler und Sünden, über mangelnde Wachheit, über die Vergeblichkeit mancher Aktivität; und dann staune ich wieder, wie ich unerwartet Kraft bekomme, welches Glück mir geschenkt ist, welch eine Gnade es ist, in IHM geborgen zu sein und Großartiges zu erleben.

Das macht mich Dankbar.Der zweite heißt: „Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit“ (Sir. 1/10). Das klingt überhaupt nicht erschreckend, sondern es macht deutlich, wie schön es ist, mit Gott und Jesus Christus verbunden zu sein. Ich lebe nicht nur so in den Tag hinein mit Angst und Schrecken, mit Lust und Gier – je nachdem. Ich lebe nicht nur so dahin, ich werde auch nicht gelebt durch all das, was mich treibt, sondern ich weiß mich verbunden mit IHM, in meinem Leben, das ich annehme, mit Jesus Christus, der mir dieses Leben gibt und aufträgt. Weisheit? Glück? Das ist gar kein Gegensatz. Glücklich bin ich, wenn ich mich mit Menschen in einer guten Beziehung verbunden weiß; wenn ich mich selbst annehmen und zu dem stehen kann, was ich bin und tue. Ich lebe nicht in einem luftleeren Raum, in dem ich herumgewirbelt werde und wo kein Halt ist, sondern ich weiß mich geborgen in der Liebe Gottes, die mich zur Liebe zu den Mitmenschen führt, zur Achtung vor ihnen, zur Achtung der Schöpfung, zur Ehrfurcht vor dem Leben. Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit und das höchste Glück.        
Dann werden wir klug.

Andreas Kühn